Studierende berichten von bedeutenden Studienfortschritten und guten Klausurergebnissen, obwohl sie die Uni noch nie von innen – und vielleicht nicht einmal von außen – gesehen haben. Klar, werden Sie jetzt sagen, das sind die Folgen der Corona-Pandemie. Nein, diesmal geht es um etwas anderes. Die positive Rückmeldung stammt von Studierenden einer Fernuniversität. Für sie war Distanzunterricht schon Normalität, lange bevor es Kontaktbeschränkungen gab. Das Virus hat allenfalls dazu beigetragen, dass sich mehr Menschen für ein Fernstudium interessieren und die Technik entsprechend skaliert wurde. Aber was ist mit den vielen Studentinnen und Studenten, die sich zurück in die Präsenzvorlesungen sehnen? Haben sie einfach die Zeichen der Zeit nicht erkannt, oder gibt es gute Gründe?
Das Studienfach
Manche Studienfächer sind sehr gut für ein Fernstudium geeignet, andere brauchen Präsenzveranstaltungen. Ein BWL-Fernstudium kommt im Gegensatz zu den Naturwissenschaften ohne Experimente aus, chemische Versuche lassen sich dagegen nur äußerst beschränkt nach Videoanleitung in der Küche unternehmen. Allgemein kann man sagen, dass Wirtschaftswissenschaften, geisteswissenschaftliche Fächer und zum Beispiel Jura, mit ein paar Abstrichen auch Ingenieurwissenschaften wie Bauingenieurwesen, sehr gut online studiert werden können. Das Fernstudium bietet sogar Vorteile durch strukturiertes Lehrmaterial statt nicht aufeinander abgestimmter Skripte einzelner Dozenten. Für Naturwissenschaften, Medizin und dergleichen sind aber auf jeden Fall Präsenzveranstaltungen nötig, wenn auch nur als Ergänzung des Fernstudiums.
Die persönliche Disziplin
Ein Fernstudium bietet maximale Flexibilität – keine Anwesenheitspflicht, kein Stundenplan, freie Zeiteinteilung. Die Kehrseite der Medaille: Manche Menschen arbeiten nur unter Druck. Wer sich auf ein Fernstudium einlässt, muss die Disziplin mitbringen, sich sein Vorlesungsverzeichnis selbst zu schreiben und die Zeiten auch einzuhalten. Schiebt der Fernstudent das Lernen bis zum Klausurtermin auf, wird er Schiffbruch erleiden. Die Aufnahme eines Fernstudiums sollte unter diesem Aspekt auch mit der Familie besprochen werden. Möglicherweise ist es für einen Partner schwer zu akzeptieren, dass der Studierende zwar stets präsent ist, aber dennoch keine Zeit hat für gemeinsame Aktivitäten. Kommt es hier erst während des Studiums zu Diskussion und Konflikt, zerbricht mit einiger Wahrscheinlichkeit entweder die Partnerschaft, oder es droht der Studienabbruch.
Die eigene Lebenssituation
Das Studentenleben kann schön sein, trotz materieller Einschränkungen. Die Bude ist klein, das Essen stammt aus der Mensa oder wird in der Gemeinschaftsküche aus Zutaten vom Discounter gekocht. Aber dafür treffen sich die Kommilitonen abends im Studentenviertel und genießen diesen Teil ihrer Jugend. Fernstudenten entgeht der prägende Lebensabschnitt, und vielleicht bereuen sie es irgendwann wie Johannes Pfeiffer (mit drei „f“) aus dem Roman Feuerzangenbowle seine verpasste Schulzeit. Wer keinen Wert legt auf Gesellschaft bei einem Bier zur Nacht, wird das Studentenleben nicht vermissen und kann bei weitgehend freier Tagesgestaltung sogar ein berufsbegleitendes Fernstudium aufnehmen. Diese Variante findet nicht nur bei Arbeitgebern eine große Akzeptanz, sondern hat auch Vorteile für den Studierenden. Durch das weiterlaufende Gehalt fällt es ihm leichter, das oft teurere und in Teilzeitform auch länger dauernde Fernstudium sowie damit zusammenhängende Reise- und Übernachtungskosten zu finanzieren als durch einen mäßig gut bezahlten Studentenjob.
Bild: Bigstockphoto.com / insta_photos